Raubkunst-Verdacht: Behörden geben Modigliani-Gemälde wieder frei

Die Genfer Staatsanwaltschaft hält das unter Raubkunstverdacht stehende Gemälde eines sitzenden Mannes von Amedeo Modigliani nicht länger fest. Es gebe keinen Grund, die Beschlagnahme aufrecht zu halten, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der SZ. Die Besitzer, vermutlich die Kunsthändlerfamilie Nahmad, können jetzt wieder frei über das Kunstwerk verfügen, das sich bislang im Genfer Zollfreilager befindet.

Derweil verdichten sich die Belege, dass der rechtmäßige Eigentümer ein anderer ist, nämlich Philippe Maestracci, der Enkel des von den Nazis 1944 in Paris enteigneten jüdischen Sammlers Oscar Stettiner. Recherchen der Süddeutschen Zeitung und eines internationalen Journalistenteams in den Panama Papers hatten ergeben: Die Firma International Art Center, die das Gemälde 1996 ersteigerte, ist offenbar der Familie Nahmad zuzurechnen. Somit müsste diese sich im laufenden Gerichtsverfahren in New York für den Kauf verantworten.

Bisher hatte der Anwalt der Nahmads nicht nur die Verbindung zum International Art Center infrage gestellt, sondern auch, dass das Bild identisch ist mit jenem, das Oscar Stettiner 1944 entwendet wurde. Dabei kam den Nahmads die scheinbar undurchsichtige Provenienzgeschichte in der Nachkriegszeit entgegen. Wie die an den Recherchen beteiligte Tageszeitung Le Monde berichtet, hat sich nun aber ein Mitglied jener Familie geäußert, die das Gemälde 1944 von den Nazis bekam. Eve Livengood ist Witwe eines Enkels von J. Van der Klip, der in französischen Akten der unmittelbaren Nachkriegszeit als erster Käufer genannt wird. In den alten Papieren aber steht, Van der Klip habe das Bild weitergegeben und wisse nichts über seinen Verbleib.

Das war offenbar gelogen, denn nach Eve Livengoods neuer Aussage blieb das Porträt mehr als 50 Jahre lang im Besitz ihrer Familie, bis es 1996 bei Christie’s versteigert wurde. Es sei immer verpackt und nie ausgestellt gewesen. Sie empfände die nun öffentlich diskutierte Geschichte als moralisch belastend.

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Die beteiligten Auktionshäuser trugen nichts zur Aufklärung bei

Den Auktionshäusern dagegen sind solche Skrupel anscheinend fremd. Christie’s hatte die Herkunft des Porträts in seinem Katalog von 1996 nicht eindeutig offengelegt und war dazu auch später nicht bereit. Und Sotheby’s, wo das Werk im Jahr 2008 vergeblich feilgeboten worden ist, hatte dem Sammler Helly Nahmad offenbar noch 2010 Unterstützung und Verschwiegenheit angeboten, als die Rückgabeforderung bereits im Raum stand (SZ vom 18. Mai).

Der Enkel Stettiners hat nun zwei starke Argumente auf seiner Seite: Das Gemälde hat jetzt eine lückenlose Provenienz seit dem Zwangsverkauf von 1944. Und es gibt einen Bildbeweis von 1930, als das Werk mit Stettiners Eigentumsvermerk auf der Venedigbiennale ausgestellt wurde.

Sogar die Identität des Porträtierten scheint sich zu lichten: Nach Archivstudien erkennt der Modigliani-Forscher Marc Restellini auf dem Bild nun den Schokoladenhersteller Georges Menier, dessen Frau der Künstler auf einem Pendantbild porträtiert haben soll. Solche Informationen machen ein Bild für künftige Käufer noch attraktiver – aber nur, wenn das Werk vorher an die Erben zurückgegeben wurde. Ansonsten wird es kaum noch zu versteigern sein. Die Nahmads wären nicht gut beraten, das Werk jetzt verschwinden zu lassen, nachdem die Genfer Behörden es wieder freigegeben haben.