Süddeutsche Zeitung: Letzte Chance

(DIES IST EINE ENGLISCHE ÜBERSETZUNG DES ARTIKELS "LETZTE CHANCE", DER AM 25. FEBRUAR 2021 IN DER SUDDEUTSCHEN ZEITUNG VERÖFFENTLICHT WURDE).

(https://www.sueddeutsche.de/kultur/ns-raubkunst-kandinsky-museum-1.5218085)

25. Februar 2021, 17:53 Uhr: Nazi-Raubkunst

Das Gemälde "Bild mit Häusern" (1909) von Wassily Kandinsky hängt im Stedelijk Museum in Amsterdam.

(Foto: picture alliance / dpa / Collectie S)

Die Interessen der Museen dürfen nicht mehr höher bewertet werden als die Rechte der enteigneten Juden: In Amsterdam könnte der Raubkunstfall um Kandinskys "Bild mit Häusern" wieder aufgerollt werden.

Von Kia Vahland

In den Niederlanden ist die NS-Raubkunst viel grundsätzlicher umstritten als in Deutschland. Es geht nicht nur darum, welche Werke in öffentlichen Museen während des Nationalsozialismus jüdischen Sammlern abgepresst wurden. Vielmehr steht auch eine "Interessenabwägung" im Raum, das heißt, dass nicht nur die Interessen der Enteigneten und ihrer Erben zu berücksichtigen sind, sondern auch die Interessen der Niederländer, die sich daran gewöhnt haben, die Werke im Museum zu sehen. Die Rechte von Privateigentümern, die in den Niederlanden sonst kein Thema sind, relativieren sich, wenn es um das Leid der Juden im Nationalsozialismus geht. Die Staatliche Rückgabekommission selbst vertrat bis vor kurzem diesen Standpunkt.

Dagegen regt sich nun aber Widerstand. Zunächst protestierte der Rechtsanwalt Jacob Kohnstamm, der im Auftrag der Regierung die Arbeit der niederländischen Restitutionskommission bewertet. Die Rückgabe von gestohlenen oder erpressten Kunst an die Erben der Sammler ist "eine der letzten greifbaren Möglichkeiten der juristischen Wiedergutmachung" und daher von immenser Bedeutung für die betroffenen Familien und die jüdische Gemeinschaft. Dieser Einwand fand die Sympathie der niederländischen Kulturministerin Ingrid van Engelshoven. In der Folge traten jene Mitglieder der Restitutionskommission zurück, die das vermutlich anders sehen.

Der Amsterdamer Bürgermeister fordert, dass die Rückgabe von Kandinskys "Bild mit Häusern" geprüft wird

Doch wird der Stimmungsumschwung auch zu Taten führen? Zunächst sah es nicht danach aus, schließlich hatten die Gerichte die Entscheidungen der Restitutionskommission bereits bestätigt. Doch nun distanzieren sich auch Amsterdams Bürgermeisterin Femke Halsema und der Stadtrat von der Interessenabwägung. Das könnte zu einem Wendepunkt in einem der prominentesten Fälle von NS-Raubkunst führen: Das Stedelijk Museum der Stadt besitzt Wassily Kandinskys "Bild mit Häusern", das es 1940 bei einer Nazi-Auktion erworben hat. Das Gemälde stammt aus dem Besitz der jüdischen Familie Lewenstein aus Amsterdam. Deren Erben fordern die Rückgabe dieses Gemäldes sowie von Kandinskys "Das bunte Leben", das sich heute im Besitz der Bayerischen Landesbank befindet und als eines der Hauptwerke das Lenbachhaus in München schmückt.

Bisher waren die Amsterdamer Museumsleute der Meinung, es reiche aus, ein Schild mit der Geschichte neben dem "Bild mit Häusern" aufzuhängen, schließlich hätten sowohl die Restitutionskommission als auch ein Gericht die Rückgabe abgelehnt. Doch nun sagt die Bürgermeisterin selbst, dass sie kein Raubgut will und fordert, dass der Fall neu aufgerollt wird. Lewensteins Erben, vertreten durch die Kunstforschungsagentur Mondex, fordern die sofortige Rückgabe des "Bildes mit den Häusern".