Der Kandinsky-Konflikt

Auf den ersten Blick ist James Palmer ein zarter, fast empfindsamer Mann. Er verabscheut laute Geräusche, üble Gerüche, dröhnende Stimmen, eigentlich wirkt er nicht wie ein Privatdetektiv, sondern wie ein fein austariertes Ökosystem.

Palmer stammt aus Kanada, lebt in London und hat sich auf Raubkunst spezialisiert, auf die Wiederbeschaffung von Kunstwerken, die ihren jüdischen Besitzern in der Nazizeit gestohlen wurden. Seine Widersacher sind Museen, Galerien, reiche Sammler und deren Anwälte. Man könnte ihn für schüchtern halten, aber in Wahrheit ist er das Gegenteil davon. Wenn er sich in einer Sache festgebissen hat, lässt er nicht mehr los. (Eine Meldung zu diesem Thema finden Sie auch im neuen SPIEGEL.)

Palmers jüngster Fall spielt in München. Dort hängt in der zweiten Etage des Lenbachhaus-Museums das Gemälde "Das Bunte Leben" von Wassily Kandinsky aus dem Jahr 1907. Starke Farben, fröhliche Figuren, das Hauptwerk aus Kandinskys früher Schaffensphase. Ein Millionenobjekt und eines der zentralen Stücke der Münchner Kandinsky-Sammlung. Palmer sagt, das Bild sei der jüdischen Familie Lewenstein, einer Unternehmerfamilie in den Niederlanden, während der Nazi-Besatzung gestohlen worden. Mit Hilfe von Rechercheuren, Kunsthistorikern, Übersetzern und Anwälten hat er in Archiven Dokumente beschafft und ausgewertet, die das belegen sollen. Nun fordert er die Rückgabe des Bildes an die Erben. Wenn seine Recherchen zutreffen, wäre das nicht nur peinlich und bitter für das Museum, sondern eine Affäre, die über München hinausreicht und unangenehme Fragen an die Landesregierung aufwirft.

"Verpiss dich!" haben sie gesagt

Denn "Das Bunte Leben" gehört nicht dem Museum, sondern der Bayerischen Landesbank und damit indirekt dem Freistaat. Die Bank hatte das Bild Anfang der Siebzigerjahre auf Initiative der Stadt München und des Lenbachhauses gekauft, aus dem Nachlass eines holländischen Kunstsammlers. Juristisch ist auch die Bayern LB für Restitutionsansprüche zuständig. Palmer sagt, bei einem ersten Gespräch im vergangenen Sommer seien die Anwälte des Geldinstituts unversöhnlich bis geschmacklos aufgetreten. Sie boten an, in ein Schiedsverfahren vor der Limbach-Kommission einzusteigen, die solche Fälle von Raubkunst behandelt - allerdings unter der Bedingung, dass das Bild im Lenbachhaus bleibe, selbst, wenn die Kommission den Erben Recht gebe. "Im Kern haben sie uns gesagt: Fuck off!", sagt Palmer.

Deshalb hat er Anwälte eingeschaltet, die am heutigen Freitag in New York im Auftrag der Erben gegen die Bank Klage erhoben haben. In New York, weil die Bayern LB dort eine Niederlassung betreibt, lebt außerdem ein Teil der Lewenstein-Erben in den USA. Dazu kommt, dass das Bild vor acht Jahren auf einer Ausstellung im New Yorker Guggenheim-Museum zu sehen war. Palmers Forderung an die Bank: das Gemälde oder 80 Millionen Dollar.

Der Fall Gurlitt

"Das Bunte Leben" ist zwar nicht der größte Fall von Raubkunst in Bayern; die Geheimsammlung von Cornelius Gurlitt war weit umfangreicher. Aber der Streit um den Kandinsky zeigt wieder einmal, wie schwierig es für Hinterbliebene von jüdischen Holocaust-Opfern bis heute sein kann, im Freistaat Wiedergutmachung zu erfahren. Allzu oft werden Gespräche abgeblockt, Kompromisse verhindert, Rechtsstreitigkeiten verschleppt. Die verbreitete Haltung gegenüber Hinterbliebenen von jüdischen Familien ist: Die sind doch nur auf Geld aus. Viele Nachfahren von Nazi-Opfern schrecken schon aus Angst vor dem hohen Aufwand davor zurück, ihre Ansprüche geltend zu machen.

James Palmer sagt, es habe Jahre gedauert, das Kandinsky-Puzzle zusammenzusetzen. Die Geschichte begann für ihn vor fünf Jahren, als Rechercheure, die für ihn arbeiten, auf einen niederländischen Auktionskatalog aus dem Jahr 1940 stießen. Das Buch erregte Palmers Interesse, weil darin etliche Kunstwerke angeboten wurden, die unzweifelhaft von den Nazis gestohlen wurden und damit als Raubkunst klassifiziert sind. Losnummer 204 in dem Katalog: "Das Bunte Leben".

New Yorker Klageschrift gegen die Bayern LB

Palmer rekonstruierte, dass das Gemälde von Emanuel Albert Lewenstein gekauft wurde, einem Nähmaschinenfabrikanten aus Amsterdam, der 1930 starb. Wie viele Familien in den Niederlanden wurde den Lewensteins früh bewusst, dass die Nazis auch für Juden außerhalb Deutschlands eine Bedrohung waren. Als Hitlers Truppen im Mai 1940 den Rhein überquerten, waren die beiden Kinder der Lewensteins bereits emigriert, die Tochter nach Mosambik, der Sohn nach Südfrankreich. Andere Familienmitglieder kamen ums Leben, in Auschwitz und Sobibor. Weil sie das Gemälde nicht mit auf die Flucht nehmen konnten, überließ die Familie "Das Bunte Leben" dem Stedelijk Museum zur Verwahrung.

Für jüdische Bürger war Amsterdam nach dem Einmarsch der Nazis gefährlich bis tödlich. Für Kunsthändler aber, die mit den deutschen Besatzern Geschäfte machten, war 1940 ein fantastisches Jahr. Am 5. September schickte einer dieser Kunsthändler einen Helfer in das Stedelijk Museum, um den Kandinsky an sich zu nehmen, so steht es in der New Yorker Klageschrift gegen die Bayern LB. Kein Mitglied der Familie Lewenstein stimmte diesem Verkauf je zu. Vier Wochen später, im Oktober, tauchte das Bild auf der Auktion auf und ging zum Schnäppchenpreis von 250 Gulden weg, ein Bruchteil des Marktwerts. Palmer sagt, schon das hätten die späteren Käufer in München stutzig machen müssen.

Üblicherweise prüfen Museen vor dem Kauf von Bildern oder Skulpturen sehr genau, ob es sich um Raubkunst handelt, vor allem, wenn die Werke aus jüdischem Besitz stammen. Das Lenbachhaus hat nach Angaben seines Direktors Matthias Mühling sogar mehrfach untersucht, ob es sich bei dem "Bunten Leben" um ein Bild von heikler Provenienz handeln könnte. Die Prüfung fiel jedoch jedes Mal negativ aus. Der Museumschef gibt zu, dass das aus heutiger Sicht mehr als unbefriedigend ist. Das Lenbachhaus hätte wesentlich früher "feststellen müssen und können", dass das Gemälde den Lewensteins gestohlen wurde. "Wir bedauern diesen Fehler sehr", sagt Mühling.

Für James Palmer ist die Entschuldigung eine nette Geste, mehr aber auch nicht. Ihm geht es um das Bild und um eine Entschädigung für die Erben, die ihm bei Erfolg eine Provision zahlen. Er hat sich angewöhnt, Bissigkeit in einen Mantel aus Sanftmut zu kleiden, aber in der Sache bleibt er hart. Als er vor einigen Jahren versuchte, einem Sammler ein Modigliani-Gemälde streitig zu machen, hetzte der seine PR-Hunde auf den Detektiv. Einen "Holocaust-Gewinnler" nannte ihn ein gegnerischer Anwalt in der "New York Post". Palmer justiert seitdem seine Strategie im Umgang mit Öffentlichkeit noch genauer. In der Kandinsky-Sache kontaktierte er fünf verschiedene Medien in vier Ländern, darunter die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel".

Der Wunsch? Das Werk als Leihgabe an ein jüdisches Museum

Sein Druck zeigt erste Wirkung. Ein Sprecher der Bayern LB sagt, man sei weiterhin bereit, den Streit vor der Limbach-Kommission auszutragen. Es sei ein "Wunsch" der Bank, dass das Bild im Lenbachhaus bleibe, von einer "Bedingung" wie im vergangenen Jahr sei keine Rede mehr. Die Erben der Lewensteins sind zuversichtlicher, was den Streit um das Gemälde angeht. Robert Lewenstein, der Enkel des Nähmaschinenherstellers, sagt am Telefon aus Ohio, seine Familie habe jahrzehntelang versucht, das Bild zurückzubekommen, ohne Erfolg. Wenn er den Prozess gegen die Bayern LB gewinnt, würde er das "Bunte Leben" am liebsten als Leihgabe an ein jüdisches Museum geben. Nicht in Deutschland, sondern in der alten Heimat der Familie: in Amsterdam.