Als die Nazis im Mai 1940 in die Niederlande einmarschierten, handelte der jüdische Kaufmann Jacob Lierens klugerweise sofort: Er brachte seine Kunstsammlung in Sicherheit, die damals einen Wert von etwa Fl. 3.000.000 (heute etwa 27.500.000 USD oder 26.000.0000 Euro) geschätzt wurde.
Sein rasches Handeln half ihm und dem Großteil seiner Familie, den Krieg zu überleben...
Sein rasches Handeln half ihm und dem Großteil seiner Familie, den Krieg zu überleben. Während des Krieges verkaufte Jacob heimlich viele seiner Kunstgegenstände, damit er und seine Familie überleben konnten.
Woraus die Sammlung der Lierens genau bestand, ist nur teilweise bekannt. Klar ist jedoch, dass die Verfolgung durch die Nazis fast alles zerstörte, was die jüdische Gesellschaft in den Niederlanden aufgebaut hatte, darunter auch sorgfältig zusammengetragene Kunstsammlungen. Erst in jüngster Zeit sind Informationen aufgetaucht, die belegen, dass die beiden Meisterwerke, die der Familie Lierens zurückgegeben wurden, eines von Jan Davidsz. de Heem und das andere von Dirck Hals und Dirck van Delen, einst Teil der wunderbaren Sammlung von Jacob Lierens waren.
Jacob Lierens machte sein Vermögen in den 1910er und 1920er Jahren. Er wurde am 7. Februar 1877 in Amsterdam geboren und war ein ehrgeiziger Mann. Wie sein Vater, Hartog Lierens, wurde auch Jacob Lierens Papierhändler und konkurrierte bald mit seinem Vater. Der Wettbewerb zwischen Vater und Sohn ging schliesslich sogar so weit, dass Hartog seinen Sohn Jacob mit einer Pistole bedrohte, was zu einem großen Gerichtsverfahren führte.
Es ist nicht bekannt, wann Jacob seine Kunstsammlung begann, aber 1919 profilierte er sich bereits als Sammler. In diesem Jahr organisierte das Amsterdamer Auktionshaus Frederik Muller & Co zwei Versteigerungen der berühmten Pieter Langerhuizen-Sammlung, die unter anderem aus Gemälden, Zeichnungen und Keramiken bestand. Einem Zeitungsartikel zufolge gab es dort vor allem eine Person, die "auf der Grundlage der kompetentesten Empfehlungen" das Beste erwarb und in den Besitz einer "sehr exquisiten Sammlung" kam. "Dieser neue Sammler auf dem Gebiet der Keramik und der alten Meister ist ein gewisser Herr Lierens".
"Villa Johanna" am Amsteldijk 196 in Amsterdam
Jacob entwickelte seine Leidenschaft für die Kunst weiter und wurde ein eifriger Käufer, vor allem im Auktionshaus Frederik Muller. Zweifellos diente ein großer Teil seiner Sammlung der Ausstattung seines prächtigen Hauses, der "Villa Johanna" am Amsteldijk 196 in Amsterdam, die im September 1921 zu Jacobs Familiensitz wurde. Kurz zuvor, am 12. April 1921, hatte Jacob das Gemälde von De Heem erworben. Gut einen Monat später, am 24. Mai 1921, wurde auch das Gemälde von Hals und Van Delen Teil von Jacobs Sammlung.
Aus verschiedenen Quellen geht hervor, dass Jacob bei seinen Ankäufen tatsächlich von kompetenten Fachleuten beraten wurde. Einer von ihnen war Jonas Alexander van Bever, der in Jacobs Auftrag Kunstwerke bei Auktionen und Kunsthändlern erwarb und höchstwahrscheinlich Empfehlungen aussprach. Annotationen in zahlreichen Kopien von Verkaufskatalogen dokumentieren Van Bevers Erwerbungen für Jacob, darunter die Gemälde von De Heem und Hals und Van Delen. Van Bevers Korrespondenz mit dem Museum De Lakenhal in Leiden zeigt, dass er auch als Jacobs Vertreter für praktische Angelegenheiten der Sammlung auftrat, zum Beispiel bei der Leihgabe einer Gruppe von Werken von Hugo A. Bakker-Korff für eine Ausstellung im Jahr 1924.
Zu den weiteren bemerkenswerten Erwerbungen von Jacob Lierens gehören das Porträt eines lachenden Jungen von Isaack Luttichuys, eine Flusslandschaft von Salomon van Ruysdael und Objekte aus der "Chambre Louis Quatorze" der bedeutenden Feith-Villa in Groningen.
Die antijüdischen Maßnahmen der Besetzungszeit fügten Jacobs Sammlung großen Schaden zu. Durch den Nazi-Erlass VO 48/41 vom 12. März 1941 war es Juden in den Niederlanden nicht mehr erlaubt, ein Geschäft zu führen. Einige Wochen später wurde ein deutscher Verwalter für das Unternehmen von Jacob Lierens eingesetzt. Obwohl Jacob noch kurze Zeit in seinem eigenen Unternehmen weiterarbeiten konnte, verlor er den größten Teil seines Einkommens. Dies war sicherlich der Grund dafür, dass er sehr bald begann, Objekte aus seiner Kunstsammlung zu verkaufen.
Heute ist Jacob Lierens als Sammler relativ unbekannt, da er nur selten Kunstwerke für Ausstellungen zur Verfügung stellte und seine Sammlung während des Krieges anonym auf Auktionen verkaufte. In Anbetracht seiner langjährigen Beziehung zum Auktionshaus Frederik Muller versuchte der Direktor des Auktionshauses, ihm zu helfen, indem er die Objekte, die Jacob verkaufen musste, als Objekte aus "Diversen" (anonymen) Sammlungen einstellte. Die sorgfältige Untersuchung dieser anonymen Verkäufe, die während des Krieges stattfanden, half dabei, die Sammlung Lierens zu rekonstruieren. Vor allem in Bezug auf die Objekte, die bei der Frederik Muller-Auktion vom 14. bis 17. Oktober 1941 angeboten wurden und die größtenteils aus der Sammlung Lierens stammten; darunter die Gemälde von De Heem, Hals und Van Delen, Luttichuys und Van Ruysdael.
Die Sammlung von Jacob Lierens war faszinierend und umfangreich. Obwohl es keine Inventarliste der vollständigen Sammlung gibt, umfasste sie sicherlich Hunderte von verschiedenen Objekten.
Obwohl Jacob durch diese Verkäufe, die unter Zwang zustande gekommen waren, eine Möglichkeit gefunden hatte, ein Einkommen zu erlangen, waren er und seine Familie noch immer nicht in Sicherheit. Am 18. März 1942 wurde seine Villa Johanna beschlagnahmt, woraufhin Jacob und seine Frau eine viel bescheidenere Wohnung in Amsterdam beziehen mussten. Im Jahr 1943 wurde das Ehepaar verhaftet und im Konzentrationslager Westerbork interniert. Jacob und seine Frau konnten sich jedoch in die Freiheit retten, indem sie Schmuck im Wert von etwa 75.000 FL (heute etwa 550.000 USD oder 525.000 Euro) gegen einen so genannten Sperrstempel eintauschten, der sie vor der Deportation bewahren sollte.
Zum Glück wusste Jacob, dass diese erkaufte Freiheit wahrscheinlich nur vorübergehend war. Anstatt in ihren Amsterdamer Wohnsitz zurückzukehren, tauchten er und seine Frau unter. Auf diese Weise konnten sie die deutsche Besatzung überleben. Einem Teil von Jacobs Familie gelang dies jedoch nicht: 1942 wurden Jacobs Tochter Branca und ihr Mann Emanuel nach Auschwitz deportiert und kamen dort ums Leben. Glücklicherweise überlebten seine beiden anderen Töchter, Rebecca und Esther und ihre Familien, den Krieg. Rebecca und ihre Familie flohen 1939 nach New York. Esthers Familie tauchte, ähnlich wie Esthers Eltern, unter und schafftes es so, zu überleben.
Die Sammlung von Jacob Lierens war faszinierend und umfangreich. Obwohl keine Inventarliste der vollständigen Sammlung existiert, umfasste sie sicherlich Hunderte von verschiedenen Objekten. Diese Schlussfolgerung konnte man ziehen, als ein Großteil dessen, was von der Lierens-Sammlung nach dem Krieg noch übrig war, zwischen dem 18. und 24. Oktober 1949, kurz nach Jacobs Tod, versteigert wurde. Der Auktionskatalog zeigt den Umfang und die Vielfalt der Sammlung, mit einem Schwerpunkt auf chinesischem und niederländischem Porzellan.
Bevor Jacob starb, gelang es ihm, das Gemälde von Luttichuys zurückzubekommen, aber die Gemälde von De Heem, Hals und Van Delen, Van Ruysdael und viele andere Kunstwerke, die während des Zweiten Weltkriegs verkauft wurden, blieben verschollen.
Bis 1941 gelangten die Gemälde von De Heem sowie von Hals und Van Delen nach Linz, wo sie für das Führermuseum bestimmt waren, das jedoch nie fertiggestellt wurde. Nach dem Krieg wurden die beiden Gemälde von den Monuments Men wiederentdeckt und im Juli 1946 in die Niederlande zurückgebracht. Zu diesem Zeitpunkt war der Name des ursprünglichen Eigentümers jedoch noch unbekannt. So gelangten die Gemälde in die so genannte NK-Sammlung (Niederländischer Kunstbesitz), die noch immer rund 4 000 Objekte enthält, deren Eigentümer nicht eindeutig identifiziert werden konnten.
Im Jahr 2017 konnten Forscher von Mondex die Verbindung zwischen den beiden Gemälden und Jacob Lierens herstellen, woraufhin ein Antrag bei der niederländischen Regierung eingereicht wurde. Am 16. April 2019 erklärte sich die niederländische Regierung schließlich bereit, die beiden Gemälde zu restituieren, da die Familie ihre Eigentümerschaft zum Zeitpunkt der Auktion 1941 nachweisen konnte und die Verkäufe unter Zwang stattgefunden haben müssen.
Jacobs Enkelin Elizabeth erinnert sich noch gut an ihre Besuche als kleines Mächen im Haus der Familie, der Villa Johanna, kurz vor dem Krieg. Sicherlich waren die vielen Jahre, in denen sich Elizabeth mit ihren Eltern in einer engen Wohnung vor den Nazis verstecken musste, zu einer Zeit, in der sie eigentlich mit ihren Freunden hätte spielen sollen, unglaublich traumatisch. Dennoch hatten sie und ihre Eltern großes Glück, dass sie den Holocaust überlebt haben. Sie erinnert sich daran, dass die Villa mit Gemälden und Antiquitäten gefüllt war, konnte sich aber nicht an bestimmte Gegenstände erinnern. Dank der laufenden Rekonstruktion von Jacobs Sammlung wird jedoch immer deutlicher, wie aussergewöhnlich diese Sammlung war.
Es ist zu hoffen, dass viele andere Kunstwerke, die Jacob Lierens während des Krieges verkaufen musste, bald wiedergefunden werden, darunter auch das Gemälde von Salomon van Ruysdael, das immer noch vermisst wird. In der Zwischenzeit sind Elizabeth und ihre Familie sehr glücklich darüber, dass die Gemälde von De Heem, Hals und Van Delen im Getty Museum in Los Angeles und im Frans Hals Museum in Haarlem, Niederlande, ein wunderbares neues Zuhause gefunden haben. Sie sind dankbar, dass diese wichtigen Restitutionen der Familie Lierens Gerechtigkeit und einen Abschluss gebracht haben, und sie hoffen, dass diese Entscheidungen anderen verfolgten Familien helfen werden, einen ähnlichen Abschluss und Gerechtigkeit zu erreichen.
Jacobs Enkelin, Elizabeth